Stadtschock

Moin! Zuerst einmal muss ich mich bei euch dafür entschuldigen, dass ich so lange nichts geschrieben habe. Mein Plan war es, hier Dinge über meinen Freiwilligendienst zu schildern, die interessieren: zum Beispiel über die riesigen Unterschiede zwischen dem Leben hier im Dschungel von Ecuador und dem, was ich und ihr zu Hause in Europa führen. Das Problem an der ganzen Sache wurde dann, dass mir nach ein paar Wochen das Leben hier so alltäglich vorkam, dass ich gar nicht mehr genau wusste, wie es anders sein könnte und worüber ich schreiben kann. Richtig bewusst wurden mir die Unterschiede dann auf meinen beiden Reisen, die ich hier bis jetzt unternommen habe. Ein Mal ging es für Carlos, Gaia und mich nach Baños, einer Touristadt zwischen Anden und Urwald. Und die zweite Fahrt verschlug uns, nun ohne Carlos, der leider schon wieder abgereist ist, in die Nähe der Andenstadt Otavalo, wo wir drei andere Freiwillige von KulturLife besuchten. Von den Dingen, die mir dort nach über zwei Monaten Dschungel auffielen, möchte ich euch nun etwas berichten. 


Und es brauchte gar nicht lange, da fielen mir schon die ersten Dinge auf: Nach einer dreiviertel Stunde Busfahrt kam das erste Haus mit elektrischer Beleuchtung in Sicht, und ich staunte nicht schlecht. Hier in den kleineren Orten und verstreuten Häusern in der Nähe gibt es meist keinen Strom. Wenn man des Nachts mal über die Straßen oder Pfade läuft, kann man die Häuser meist nur erkennen, wenn etwas Kerzenlicht zu einem durchdringt. Als dann sogar Straßenlaternen dazukamen und der Bus noch später plötzlich über Asphalt fuhr, kam ich nicht drum herum, dass mir diese Details auffielen. Überhaupt sind uns Gaia und ich einig, dass die Vokabel für Lichtschalter auf Spanisch wohl zu jenen gehört, die wir am Ende unseres Aufenthalts hier nicht beherrschen werden. 


Angekommen in Otavalo wurden wir dann erschlagen, und zwar von der Kälte. Ich weiß, dass die meisten von euch wohl gerade im Pulli hinter Fensterscheiben sitzen und eure Thermometer einstellige Temperaturen anzeigen, doch nach zwei Monaten Dschungel bin ich nun Hitze, nicht aber mehr „Kälte“ gewohnt. Fensterscheiben besitzt mein Häuschen übrigens nicht, und die Temperaturen drinnen unterscheiden sich nicht von denen draußen, doch trotzdem friere ich nicht unter meinen zwei dünnen Decken. Wenn wir schon beim Thema Schlafen sind: In Häusern außerhalb des Urwaldes ist es sehr leise, beziehungsweise in meinem Haus im Urwald ist es sehr laut. Das liegt vor allem an dem kleinen Río Colorado und seinem Plätschern, einigen zirpenden Grillen, dem vielen lauten Regen, manchmal dem Quaken eines Frosches, dem Krähen eines Hahns, dem Bellen unseres Hundes, Susu, und natürlich an der Bauweise meines Hauses. Ihr könnt euch vorstellen, was für ein tägliches Einschlaflied das ist, und deshalb bestimmt auch nachvollziehen, weshalb ich mir anfangs viele der Tiere eher auf meinen Teller als vor mein Haus gewünscht habe. Doch bei der nächtlichen Stille auf meinen Reisen wünschte ich mir dann doch mein mittlerweile so vertrautes Einschlaflied zurück. 


Wieder zurück zu der Ankunft in Otavalo, wo Gaia und ich bei der Begrüßung der Gastmutter eines Mitfreiwilligen unsere gelernten Dschungelmanieren zum Besten gaben. Während Bella, eine Freiwillige aus Quito, es uns später für diese Gegend richtig vormachte (mit einer Umarmung und einem Küsschen auf die Wange), begrüßten wir beiden "Dschungelmenschen" sie mit einem einfachen Handschlag. Egal wann, wo und mit wem, in der Gegend rund um Selva Vida ist ein Handschlag zur Begrüßung obligatorisch. Kommt man zum Beispiel in das volle Lehrerzimmer oder auf ein großes Fest, wird erwartet, dass man zu jedem Einzelnen kommt, um ihn oder sie per Handschlag und Gruß zu begrüßen. Ein kurzes "Moin an alle" reicht da nicht.  


Und auch sonst unterscheiden sich die Menschen in den verschiedenen Teilen des Landes stark. In Otavalo sind die Quechua stark präsent, eine von vielen unterschiedlichen Gruppen an Ureinwohnern in Ecuador. Sie unterscheiden sich im Aussehen, der Sprache und der Kultur stark von den Shuar, die in meiner Provinz von Ecuador, Morona Santiago, die größte Bevölkerungsgruppe sind. Doch auch anders aussehen scheint in Otavalo alltäglich zu sein. Um Macuma herum ist es jedoch so, dass Leute, die auf den ersten Blick nicht nach Shuars aussehen, sofort auffallen und als Reisende eingestuft werden, was in den meisten Fällen dann auch stimmt. Ihr könnt euch also vorstellen, dass ich mit meinen blonden Haaren, der hellen Haut und meinen blauen Augen immer sofort auffalle. Besonders Kinder schauen mich gerne unverhohlen an. Denn die Shuar sind oft kleiner, haben dunklere Haut als ich, schwarze Haare und dunkle Augen und oft mehr Muskeln. Neulich sprach mich ein kleines, etwa dreijähriges Mädchen aus der Gemeinde Yukaip an und stellte fest: "estás pintado". Ich musste ziemlich lachen, denn übersetzt heißt das "du bist angemalt". Ihr zu erklären, dass ich eben nicht angemalt bin, hatte wenig Erfolg, denn sie fing daraufhin an mich davon überzeugen zu wollen. Ihr erstes Beweisstück: meine "weißen" Haare. Mittlerweile habe ich mich an die ganze Aufmerksamkeit gewöhnt, und anders aussehende Menschen fallen mir plötzlich unter all den Menschen hier auf. Vor ein paar Monaten wäre es wohl der Shuar gewesen, der mir im rummeligen Hamburg aufgefallen wäre. 


Apropos rummelig: Hättet ihr geglaubt, dass Stadtkinder wie Gaia und ich plötzlich Probleme haben, sicher eine Straße zu überqueren? Keine Angst, dank der wachsamen Augen der anderen Freiwilligen ist uns zum Glück nichts passiert. Doch ich kann mich nicht daran erinnern, dass mich Autos schon mal so aus dem Konzept gebracht hätten. Dazu kam, dass ich plötzlich ziemlich vielen Leuten beim Laufen auf die Fersen trat. Außer manchmal vor dem Bus sind Menschenmengen hier im Dschungel nämlich ungewöhnlich. Und selbst in dem für die Gegend großen Macuma sind die alle ein bis zwei Stunden fahrenden Busse mit die häufigsten Fahrzeuge, die die Hauptstraße entlangfahren. Die meisten Menschen bewegen sich hier zu Fuß fort, und wenn der Weg zu weit ist oder es "schnell" gehen muss, nimmt man den Bus, entweder in Richtung Taisha oder in Richtung Macas, andere Busse gibt es nicht, denn dafür fehlen befahrbare Straßen. Ein Fahrrad oder gar ein eigenes Auto oder Motorrad besitzt hier kaum wer. Doch Pferde gibt es ein paar, die neben Lasten wie beispielsweise Holz manchmal auch Menschen tragen. 


Und auch sonst ist mir, vor allem durch die Gastfamilien der anderen Freiwilligen, aufgefallen, wie viel sie, aber auch Menschen, die ich aus Europa kenne und ich natürlich auch, besitzen – oder vielleicht auch, wie wenig die Menschen, die ich hier im Urwald kennengelernt habe, besitzen. Damit sind vor allem Einrichtungsgegenstände gemeint und all der Krimskrams, der sich bei anderen im Laufe der Jahre so ansammelt. Die Einrichtung der Häuser ist oft auf das Nötigste beschränkt. Ein Beispiel: M,anchmal wird hier eine Axt, ein Beil, ein Rasenmäher, eine Heckenschere, ein Messer, eine Säge, eine Schaufel und noch vieles mehr gebraucht. Ihr könnt euch vorstellen, dass ich hier noch niemanden getroffen habe, der auch nur die Hälfte dieser Dinge besitzt. Doch dafür gibt es hier einen vielgenutzten Gegenstand für all diese Gelegenheiten, die Machete.


Das gleiche gilt für Klamotten: Soweit ich das feststellen kann, hat hier niemand von den Einheimischen in der Gegend mehr Klamotten als wie ich in meinem Reiserucksack hierhin mitgenommen habe. Löcher und Flecken gehören zum Alltag. Plötzlich wieder so viele ordentlich und sauber angezogene Leute zu sehen war auf den beiden Ausflügen zuerst komisch für mich. Versteht mich nicht falsch: Für Festlichkeiten oder zum Beispiel bei manchen Jobs werden normalerweise Klamotten ohne sichtbare Löcher und Flecken angezogen, doch so alltäglich wie ich es bis dato gewohnt war, ist das hier eben nicht. In manchen Haushalten fehlt es, aus meiner westlichen Sichtweise gesehen, auch am Nötigsten. Doch da möchte ich mir nach nur ein paar Wochen nicht anmaßen, darüber zu urteilen. Was ich aber schon sagen kann, ist, dass es mich schockiert hat, in Baños und auch in Otavalo wieder all den Kram in den Läden und bei den Straßenverkäufern zu sehen. Ich hatte ganz vergessen, wie viele Dinge, vor allem aus Plastik, man so kaufen kann, deren Nutzen doch eher begrenzt ist. 


Um euch zu demonstrieren, wie schnell der Dschungel und alles was dazugehört zu meinem Alltag und zur Gewohnheit geworden ist, möchte ich euch an einem kleinen Gespräch zwischen Gaia und mir teilhaben lassen: Wir beide hocken auf dem Boden in einem Haus fernab unseres Dschungels in der Nähe von Otavalo. Gaia: "Schau Elli, ich mache jetzt mal was ganz Gefährliches." Ich antworte: "Was?", bin aber eigentlich zu beschäftigt damit, meine Schuhe zu suchen. Daraufhin Gaia: "Ich ziehe jetzt meine Schuhe an, OHNE sie vorher auszuschütteln", und schlüpft gleichzeitig in ihren Schuh. Als ich das höre, halte ich in meiner Bewegung inne und muss lachen, denn ich schüttelte im gleichen Moment meine Schuhe aus. Im Urwald kann das überlebenswichtig sein, denn es können sich ein Skorpion oder andere unschöne Tierchen in so einem Schuh verstecken. In Hamburg oder Otavalo ist das Schuheausschütteln natürlich Quatsch, was mir in diesem Moment stark bewusst wurde und Gaia und mich zum Lachen brachte. 


Ich habe meine beiden Ausflüge sehr genossen, und trotzdem würde ich mein Zuhause für die kommenden Monate mit keinem Ort der Welt tauschen wollen. Als Gaia und ich am Sonntagmorgen mit dem Bus aus Otavalo endlich wieder durch den vertrauten Dschungel fuhren, ging gerade die Sonne auf. Obwohl wir todmüde waren, schauten wir dem Spektakel durch die Fensterscheibe zu. Später sprachen wir über diesen Moment und kamen zu dem Schluss, dass wir beide das gleiche dachten: Was für ein Glück haben wir, diesen Ort für ein Jahr unser Zuhause nennen zu dürfen! 


Kashint, hasta luego, bis bald oder einfach nur tschüss!!! 


Abendessen im Kerzenschein mit Gaia, Lia, Tuntiak, Lucy und Add, für mich Alltag.

Auswahl über Auswahl auf einem Markt in Otavalo.

Eine Pizza mit Freunden essen gehen, lecker!

Die "Hauptstrasse" von Macuma, wie so oft fast ganz verlassen. Rechts im Bild sieht man einen der größten Läden des Ortes.

Eine Karte des Kantons Taisha. Die gelbe Linie mackiert die wenigen Strassen.

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Kommentare: 8
  • #1

    Mamma (Dienstag, 13 November 2018 20:22)

    Lichtschalter= Interructor.
    Steckdose= Enchufe.
    Naja Sonne die wirst Du nicht brauchen in der Pampa! Aber viellecht beim nächstes Ausflug.
    Ich freu mich von Dir wieder zu lesen aber nochmehr das Du wieder erreichbar bist.
    Sono stata in pensiero e volevo chiamare Gaia, ma non volevo disturbarti o essere pesante.
    Sono passati solo 3 mesi, ma non mi sono ancora abituata ad esserti tanto lontana.
    Mi manchi vita mia.
    DIVERTITI, Impara piú che puoi e non pensare di restartene li!

  • #2

    Ria boon EE (Dienstag, 13 November 2018 21:42)

    Ellie wat geniet ik van jeverhalen en prachtige foto,sik ben trots op mijn nichtje en kijk Elke dag naar je nieuws !!!zo leuk !!!!lk weet niet of mijn antwoord goed overkomt Ik ben niet zo goed met de I pad !!!!wens je weer fijne dagen en ben blij dat je het Zo goed naar je zin hebt liefs en groetjes van tante Rie doeiiiii����

  • #3

    Tilli (Dienstag, 13 November 2018 21:55)

    Mehr als einfach nur wow zu sagen und das ich wirklich neidisch bin das du so eine Reise machst, kann ich nicht sagen. Es freut mich so für dich das du dich so wohlfühlst und die Möglichkeit hast so viele tolle Erfahrungen zu sammeln und neues zu entdecken. Das mit dem Schuh ausschütteln wäre ja gar nichts für mich ich hätte viel zu viel Angst das mir da ne Spinne rein klettert.... aber das kannst du dir ja wahrscheinlich denken, mit meiner Spinnenphobie. Ich strahle und bin immer etwas aufgeregt wenn ich deine Artikel hier lese, ich versuche mich wie wenn ich ein Buch lese, mich in dich rein zu versetzten um mir das Sachen vorstellen zu können.
    So, erstmal genug von mir.
    Ich wünsche dir erstmal weiterhin eine ganz ganz tolle Zeit dort und grüß mir Gaia auch wenn ich sie nicht kenne, sie scheint eine genau wie du tolle Person zu sein und es freut mich das ihr euch so unterstützt.
    Bis bald meine Elli ❤️

  • #4

    Ich... (Dienstag, 04 Dezember 2018 09:12)

    ... gebe dir absolut recht, Elli. Gerade jetzt zur Weihnachtszeit ersticken wir hier in Deutschland geradezu unter einer Lawine frisch produzierten Plastikschrotts. Vom Billigspielzeug made in China zum einmaligen Gebrauch bis zum flauschigen Fleece-Plastikpullover und vom ausufernden Weihnachtskitsch bis zum Plastikverpackungswahn bei eingeschweißten Bioäpfeln, aufgemotzten Mogelpackungen und praktischen Mini-Einzel-Portiönchen: Ein großer Teil von all dem Scheiß landet irgendwann mehr oder weniger geshreddert im Meer und kommt schließlich im Speisefisch zu uns zurück. Guten Appetit!
    Da ist es doch eine Befreiung, wenn du eine Weile von all dem Müll verschont bleibst. Ich gönne es dir und bin, ehrlich gesagt, auch ein wenig neidisch. ☺

  • #5

    peter.kowsky@googlemail.com (Montag, 24 Dezember 2018 00:20)

    Moin Elli,
    Ala und ich sind jetzt schon eine Woche auf Gomera und es ist oberaffengeil!
    Sonne und Meer und das Wandern! Deine Berichte sind toll. Auf Gomera nimmt langsam aber sicher auch der Kreuzfahrtschifftourismus zu, aber auf den vielen Wanderwegen trifft man kaum einen Menschen, und wenn, dann in der Regel deutsche Wanderurlauber.
    Ich glaube, in meinem Leben schaffe ich es nicht mehr, in ein Land mit einem Wald wie in Ecuador zu kommen; umso interessanter finde ich Deine Erzählungen.
    Bis demnächst, Gruß auch von Ala, Peter

  • #6

    Ich... (Samstag, 26 Januar 2019 14:03)

    ... warte seit fast elf Wochen auf die Fortsetzung - und Mamma, Ria boon EE, Tilli und peter.kowsky bestimmt auch. Elli, gibt es dich noch, oder hast du dich im Urwald so entschleunigt, dass du das jetzt alles viel ruhiger angehst? Naja, schön für dich. Aber blöd für uns...

  • #7

    Ria (Samstag, 26 Januar 2019 19:59)

    Hey Elli,
    langsam kann auch weider was kommen. Sage mal was machst du so was hast du so über die feiertage getrieben und welche Traditionen haben die Schinur?
    Melde dich mal!!!
    Und wer ist "ICH"?

  • #8

    Steffi :) (Donnerstag, 13 Juni 2019 19:47)

    Wow! Ich und auch bestimmt alle, die deinen Block verfolgen sind geflasht :D
    Ich möchte dir nochmal danken, dass du diese schönen Momente und Erinnerungen mit uns teilst. Ich hoffe du genießt deine Zeit in vollen Zügen bis es wieder in die "alte" Welt zurückgeht. Ich lese aus deinen Eindrücken, dass es auch sein könnte, dass du irgendwann noch einmal dorthin zurückkehrst? - Vielleicht in einem deiner zukünftigen Urlaube :) Weiterhin wünsche ich dir viel Erfolg, bleib gesund und komm gesund wieder! LG Steffi (Mamas Nervensäge :D)